Dort wo der Schnee liegt

Dieses Wochenende sollten eigentlich die meisten Skigebiete eröffnet werden, so auch Lech/ Zürs – doch der Schnee hat sichs anders überlegt.

Damit wir beim Anblick der grünen Wiesen nicht in eine Depression verfallen, habe ich mich mal schlau gemacht, wo die Schneelage jetzt schon vielversprechend aussieht:

Angerissen, nicht zerrissen

Das Licht blinkt, die Kamera läuft. Zweimal fest mit den Stöcken anschieben, wobei diese tief in den weichen Schnee eindringen, und rein in den Steilhang. Ich vorne, mein Cousin hinten, die GoPro auf seinem Helm filmt mit. Es ist ein blauer Tag, in der Nacht hat es frisch geschneit. 20 Zentimeter Neuschnee am Arlberg – nicht viel, aber genug, um den ersten Powdertag der Saison 2013/14 zu ermöglichen. Und den nutzen wir: mit schnellen Schwüngen nähern wir uns der Kuppel. Wie vereinbart ziehe ich am Übergang zwischen Licht und Schatten einen langen Schwung – einen Spray Turn – wobei ein Kumpel dieses Foto schießt:

domi_sprayturn

Mit meinem Cousin auf den Fersen steuere ich direkt in den nächsten Hang und versuche schnell die Lage zu erfassen: sanftes Gefälle, kaum Lawinenpotential, ein paar aufgehäufte Schneehügel – darunter entweder Büsche oder Felsen, schwer zu sagen. Ich nutze den Steuerdruck für ein paar lange Schwünge, spüre einen abrupten Widerstand und stürze.

Das ist jetzt fast ein Jahr her. 11 Monate, 6 Tage um genau zu sein. Ich höre noch den Arzt wie er mich informiert: ein Kreuzbandanriss, den man in kunstvoller Feinarbeit flicken konnte. „Es lief gut. Aber so wie früher wird es nie wieder.“ sagte er – ein Satz, der ganze Zukunftsträume vernichten kann.

Was soll das heißen? Dass ich zwar nie zehn-Meter-Cliffs lande, aber prinzipiell immer noch ein ziemlich wilder Hund sein könnte? Oder werde ich nicht mal mehr zum abfahrenden Bus laufen können? Diese Sorgen plagen mich, während ich mich mit lächerlich wirkenden, nichtsdestotrotz schweißtreibenden Physio-Übungen abmühe und gleichzeitig Freunde Bilder vom „geilsten Powder“ auf Facebook posten. Die habe ich dann ganz schnell medial zum Schweigen gebracht. Überhaupt konnte ich den Winter 2013/14 nur überstehen, indem ich mich vom Skifahren isolierte. Keine Skifilme, keine Abfahrtsrennen, kein Philosophieren über den besten Tiefschneeski mit Freunden. Währenddessen habe ich mich in Kraftkammern, auf Laufbändern und wackligen Unterlagen abgeschwitzt, um die Ärzte Lügen zu strafen.

Heute warte ich auf den ersten Schnee während die Temperaturen fallen. Das Gefühl von knirschender Piste unter der Skikante, von rauschendem Wind in der Ritze zwischen Skibrille und Helm, von Schnee weich wie Zuckerwatte unter der Bindung – das ist nur noch eine ferne Erinnerung. Ich kann sie noch abrufen. Es waren glückliche Momente. Aber Vorfreude? Ein bisschen vielleicht. Vermischt mit Sorge. Sorge, dass die letzten 11 Monate und 6 Tage umsonst waren. Sorge, dass die Ärzte recht hatten. Sorge, dass mein rechtes Bein einknickt, das Kreuzband komplett reißt und ich von der Pistenrettung erneut Richtung Saisonende abtransportiert werde.

Nein. Dieses Jahr nicht. Ich bin wie mein Kreuzband: angerissen, aber nicht zerrissen. Mir wurde zwar die Illusion jugendlicher Unzerstörbarkeit genommen und einiges an körperlichem Training und Disziplin abverlangt. Aber bald fahre ich wieder hinauf Richtung Arlberg – zwar mit neuen Sorgen, aber auch mit neuer Kraft und dem Willen, wieder der Alte zu sein.